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Schwieriger Übergang von der Jugend- zur Erwachsenenpsychiatrie

Ausgabe Nr. 128
Sep. 2020
Kinder und Jugendliche

Für die psychiatrische Versorgung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an der Schnittstelle zur Erwachsenen­psychiatrie gibt es Handlungsbedarf. Dies zeigt der vom BAG in Auftrag gegebene Bericht, der bestehende Angebote untersucht und Handlungsempfehlungen formuliert.

Der Übertritt in die Volljährigkeit geht für psychiatrische Patientinnen und Patienten oft mit einem einschneidenden Wechsel des gesetzlichen und institutionellen Rahmens der Behandlung einher. Der Zuständigkeitswechsel von der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) zur Erwachsenenpsychiatrie (EP) führt häufig zu Unterbrüchen in der Behandlung, beispielsweise durch Wechsel der psychiatrischen Fachperson und der zuständigen Institution. Wieso die sogenannte Transitionspsychiatrie an dieser Schnittstelle eine zentrale Herausforderung für die psychiatrische Versorgung ist, zeigt ein Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW (siehe Box).

Adoleszenz – eine vulnerable Zeit

Die Kontinuität einer psychiatrischen Behandlung ist gerade in der Adoleszenz sehr wichtig, denn Jugendliche, die sich in einer Therapie befinden, benötigen diese meist auch über den 18. Geburtstag hinaus. Die Adoleszenz ist geprägt von vielen Entscheidungen und Veränderungen; sei es die Wahl des Bildungsweges, die Identitätsfindung oder die Suche nach Vorbildern ausserhalb der Familie, insbesondere in der Peer-Gruppe. Diese Schritte können für die Adoleszenten auch erhöhte Sensibilität und Verletzlichkeit bedeuten, welche mit Krisen und manchmal mit der Entstehung psychischer Erkrankungen einhergehen können. So manifestieren sich 75 Prozent aller psychischen Störungen bis Mitte zwanzig.

Bericht beleuchtet die Schnittstelle

Die spezifischen Anforderungen an die Behandlung in der Übergangsphase vom Jugendlichen zum Erwachsenen können die KJP und die EP alleine oft nicht abdecken. Dies, weil bei einem Wechsel von einem System in das andere nicht nur die fachliche Zuständigkeit ändert und zu einem Unterbruch in der Behandlungskontinuität führt, sondern oft auch mit einer Änderung des Behandlungsangebots einhergeht (aufgrund der oft kantonal unterschiedlichen Kostengutsprachen in der KJP und der EP). Um die Versorgungssituation in der Schweiz zu erfassen und zu verbessern, wurde vom BAG eine Bestandesaufnahme der Angebote der Transitionspsychiatrie in Auftrag gegeben. Da sich der altersbedingte Wechsel des Versorgungssystems insbesondere in der stationären Psychiatrie zeigt, wurden im Bericht die stationären und die tagesklinischen Angebote untersucht und von Expertinnen und Experten gesundheitspolitisch eingeschätzt. Die ambulante Versorgung war nicht Teil der Fragestellung, da die Herausforderungen an der Schnittstelle dort erfahrungsgemäss flexibler und durchlässiger angegangen werden.

Wenige Angebote

Der Bericht zeigt, dass in der Schweiz nur einige stationäre und tagesklinische Angebote einen transitionspsychiatrischen Fokus verfolgen. Obwohl es in den letzten Jahren vermehrt Angebote gab, die sich spezifisch an junge Erwachsene und ihre Anforderungen in der Adoleszenz richten, kann man von einer Versorgungslücke sprechen. Diese Lücke umfasst gemäss Experteneinschätzungen sowohl das klinisch-institutionelle Angebot wie auch fehlende Versorgungskonzepte (koordinierte Versorgung, Angebotsentwicklung). Schweizweit wurden sechs stationäre transitionspsychiatrische Angebote identifiziert, acht stationäre Angebote für junge Erwachsene, vier transitionspsychiatrische tagesklinische Angebote und ein tagesklinisches Angebot für junge Erwachsene. Unter den befragten Expertinnen und Experten war man sich einig, welche Aspekte ein optimales transitionspsychiatrisches Angebot berücksichtigen sollte.

Ein solches Angebot sollte:

  • die spezifischen Fachkompetenzen der Disziplinen KJP und EP integrieren,
  • als entwicklungsorientiertes Konzept formuliert sein (Persönlichkeit, Sozialisation, Ausbildung),
  • interdisziplinär angelegt sein (Entwicklungspsychologie und Sozialpädagogik),
  • systematisch mit ambulanten transitionspsychiatrischen und sozialpädagogischen Angeboten zusammenspielen im Sinne einer integrierten Versorgung,
  • mit den involvierten Institutionen vernetzt sein (Schulen, Brücken­angebote, Ausbildungsstätte, Berufsberatung, Jugendhilfe, Wohnheime, KESB, Eingliederungsprogramme, IV etc.).

In den Expertenrunden wurde auch die Meinung entwickelt, dass wesentliche Ansätze zur Verbesserung einer transitionspsychiatrischen Versorgung mehr auf die Prozess- als auf die Strukturqualität zu richten sind. Diese wird durch eine integrierte Prozessgestaltung und eine Kultur der transitionspsychiatrischen Behandlungszusammenarbeit zwischen KJP und EP gefördert. Eine Chance hierzu ist in der Tatsache zu sehen, dass heutige Kliniken nach Fusionen immer häufiger die KJP und  die EP unter demselben Dach führen und sich ein gemeinsamer Bereich Transitionspsychiatrie (oder Adoleszentenpsychiatrie) strukturieren liesse.

Der Bericht in Kürze

Die Bestandesaufnahme der stationären und tagesklinischen Angebote der psychiatrischen Gesundheitsversorgung an der Schnittstelle des Jugend- und Erwachsenenalters in der Schweiz wurde im Auftrag des BAG von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (Departement für Angewandte Psychologie, Psychologisches Institut, Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie) unter Agnes von Wyl erhoben. Als Grundlage für die Liste der stationären Angebote diente die Institutionenliste des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (Association nationale pour le développement de la qualité dans les hôpitaux et les cliniques, ANQ). Die Erhebung der tagesklinischen Angebote basieren auf Internetrecherchen und auf der Angebotsliste der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrische und Psychotherapeutische Tageskliniken (SGPPT). Die Erhebung erfolgte weiter anhand eines Onlinefragebogens. In einem zweiten Schritt wurden die Ergebnisse in zwei Expertenrunden diskutiert und gesundheitspolitisch eingeschätzt. Die Rückmeldungen aller Expertinnen und Experten zu wünschenswerten Veränderungen in der transitions­psychiatrischen Versorgung und mögliche Umsetzungsschritte wurden in den Bericht eingearbeitet.

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Kontakt

Lea Pucci-Meier
Sektion Nationale Gesundheitspolitik

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